Unternehmer und Wissenschaftler wollen sich künftig in Mittelhessen regelmäßig zur Praxis und Theorie wirtschaftlichen Handelns austauschen. Das von der Regionalmanagement Mittelhessen GmbH (RMG) unterstützte Netzwerk „Evidence-Based Management“ will bei Treffen ausgewählter Firmenvertreter mit Wissenschaftlern „einen Wissens-Transfer“ herstellen, wie es Prof. Dr. Andreas Bausch von der Justus-Liebig-Universität Gießen beim Auftakt der Reihe in den Räumen der Marburger Firma Seidel formulierte. Thema der Auftakt-Veranstaltung, die Ende Juli stattfand: „Erfolgreiche Internationalisierungsstrategien“. Als Fall aus der Praxis präsentierte Seidel-Geschäftsführer Dr. Andreas Ritzenhoff dabei eine Überraschung: Das im Ortsteil Fronhausen beheimatete Unternehmen, das bislang vor allem Verpackungen für die Kosmetikindustrie herstellt, steigt in die Produktion von LED-Birnen ein.
Inhalt dieses und kommender Netzwerk-Treffen zum Evidence-Based Management sind Vorträge jeweils eines Unternehmens-Vertreters und eines Jung-Wissenschaftlers mit anschließender Diskussion. „Wir setzen uns beim Regionalmanagement schon immer für das Netzwerken und den Austausch von Wissen ein; daher sind wir natürlich froh über diese neue Plattform“, sagte RMG-Geschäftsführer Jens Ihle. „Wir wollen Beziehungsgeflechte aufbauen“, sagte auch Prof. Bausch. Die Reihe sei einerseits „Mentoring-Möglichkeit“ für Nachwuchswissenschaftler, andererseits auch Chance, solche Jung-Forscher „im Rahmen von Recruiting-Prozessen zu gewinnen“, fügte der Experte für Strategisches und Internationales Management in Fronhausen hinzu. Initiator der Idee ist das Gießener Graduiertenzentrum Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. Neben der RMG unterstützen Wissenschaftler der Universitäten in Gießen und Marburg, der IHK-Verbund Mittelhessen sowie die Alumni-Vereine der beiden mittelhessischen Hochschulen das Projekt.
Letztlich diene die Reihe auch dazu, komplexe Sachverhalte verständlicher zu machen, sagte Bausch. Fachpublikationen seien oft nicht geeignet, Resultate aus der Forschung in die Praxis zu transportieren: „Ich glaube, dass viele Praktiker und im Übrigen auch Wissenschaftler anderer Disziplinen Schwierigkeiten haben, diese Beiträge letztlich zu verstehen.“ Beim Evidence-Based Management wolle man wissenschaftliche, empirische Erkenntnisse verständlich vorstellen, und zwar so, dass „die praktische Relevanz sehr schnell klar wird“, erläuterte Bausch. Das Konzept sei aus der Medizin bekannt, wo anhand „großzahliger, statistischer Untersuchungen“, dem „Evidence“, die Wirksamkeit von Therapien überprüft werde.
In diesem Zusammenhang beschrieb Dr. Lars Matysiak, Hochschulassistent an Bauschs Professur für Strategisches und Internationales Management, in seinem Vortrag den Stand der Forschung zu „erfolgreichen Internationalisierungsstrategien“. Mit Zahlen und Grafiken definierte der Jungforscher, wann die Erweiterung der eigenen Geschäfte über den Heimatmarkt hinaus erfolgreich sein kann – und wann nicht. Kern seiner Forschung sei dabei zu erkennen, welche Bedingungen für den Erfolg innerhalb und außerhalb der Heimatregion gelten und welche Unterschiede sich dabei ergeben. Dabei spielten Begriffe wie „Kosten der Fremdheit“ und „Über-Internationalisierung“ durch einen zu komplexen Koordinationsaufwand eine Rolle.
Probleme dieser Art gehörten bislang für Dr. Andreas Ritzenhoff, Geschäftsführer der 1830 gegründeten Firma Seidel, nicht zum Berufsalltag. Auch wenn die Produkte aus der Fabrik in Fronhausen überall auf der Welt in Form von Parfüm-Flaschen und Kosmetik-Behältern in den Regalen stehen, sind es Seidels Kunden aus der Lifestyle-Branche, die für den globalen Vertrieb sorgen. Doch das ändert sich nun. Man wolle zwar weiter Verpackungen aus Aluminium, Glas und Kunststoff herstellen, leitete Ritzenhoff seinen Praxis-Vortrag beim Netzwerk-Treffen ein, aber bald „auch selber befüllen“ – nämlich mit Elektronik. Mit einer vom Bundesumweltministerium mit 5 Millionen Euro geförderten materialeffizienten Herstellung von LED-Lampen will die Seidel GmbH & Co. KG den Herstellern aus Fernost Konkurrenz machen.
„Jetzt sind wir auf einmal in der Internationalisierung“, sagte der Geschäftsführer und verwies dabei auf die weltweite Zulieferkette für die Sparbirnen: So werde der zentrale Chip der Lampen im kalifornischen Silicon Valley entwickelt und in China hergestellt. Auch die Idee, als renommierter Hersteller von Flakons und Aluminium-Dosen in die LED-Birnen-Produktion einzusteigen, erscheint nach Ritzenhoffs Vortrag weniger abwegig als gedacht: Die meisten Arbeitsschritte bei der maschinellen Herstellung der Birnen, die größtenteils aus Kunststoff und Leichtmetall bestehen, liegen genau im Kompetenzfeld des Unternehmens. In dessen hochautomatisierter Fabrik werden vor allem Metalle geformt, veredelt und mit anderen Materialien verbunden. Die Skepsis eines Bankers habe er überwunden, als er vor diesem einfach ein Birnengehäuse zusammengesteckt habe, erzählte Ritzenhoff.