Jens Ihle zu den Aufgaben des Regionalmanagements Mittelhessen in der Gießener Allgemeinen Zeitung vom 31. März 2015 – Eine Antwort auf den vorangehenden Beitrag von RP Witteck in der gleichen Zeitung
Für was steht Mittelhessen? Was macht die Region an Lahn, Dill und Ohm attraktiv für Wirtschaft und Studierende, Fachkräfte und Familien? Mit welchen Eigenschaften sollen und müssen wir bei diesen Zielgruppen punkten, um im europäischen Wettbewerb der Regionen zu bestehen? Die Antworten liegen auf der Hand: Mittelhessen ist ein attraktiver Wirtschafts- und Hochschulstandort in der Mitte Deutschlands, mit Lebensqualität, innovativen Unternehmen und attraktiven Konditionen. Das hört sich erst einmal gut an – ist aber austauschbar bis beliebig. So konnte man es vor Jahren in allen Imagebroschüren der Republik lesen – auf dem Titel jeweils eine andere Region.
Moderne Hochschulen
Nähern wir uns der Antwort über Fakten: Die Kernbranchen unserer Region sind Metall und Elektro, Optik und Life Science. Die Metallbranche ist aufgrund des Erzbergbaus im Lahn-Dill-Gebiet traditionell bei uns stark vertreten und spielt bis heute eine wichtige Rolle. Laut einer Studie der Hessen Agentur, der hessischen Wirtschaftsförderung, sind 42 Prozent der hessischen Metallbetriebe in Mittelhessen aktiv. Damit ist die Region Spitzenreiter. Ähnlich die Elektrobranche: 30 Prozent aller hessischen Unternehmen sind in Mittelhessen ansässig. Die Optikbranche ist ebenso ein Aushängeschild der Region; durch die Überschneidung mit der Elektronik- und Mechanikbranche ist sie hoch innovativ und setzt weltweit Maßstäbe. Mit dem »Wetzlar Network« hat sich ein Unternehmensnetzwerk mit internationaler Strahlkraft entwickelt. Über 250 Unternehmen stellen in Mittelhessen optische und elektronische Erzeugnisse her, darunter bekannte Marken wie Leica oder Zeiss. Dafür steht auch die Fachmesse »W3+ Fair« Ende März in Wetzlar. In der Zukunftsbranche Life Science ist Mittelhessen breit aufgestellt. Sie reicht von der pharmazeutischen Industrie in Marburg und Limburg bis zur Medizintechnik und Gesundheitswirtschaft in Gießen und Marburg. In diese Zukunftsbranche wurde zuletzt stark investiert: 2014 eröffnete in Marburg der MARS-Campus, ein neuer Produktionsstandort des Unternehmens Novartis Vaccines. 240 Millionen Euro wurden investiert. Das Limburger Unternehmen Mundipharma erweiterte seinen Firmensitz, CSL Behring ist zurzeit dabei, den Standort in Marburg auszubauen und Pascoe Naturmedizin zieht demnächst in Gießen nach. Zusammen ein dreistelliger Millionenbetrag, der in der Region investiert wird.
Das Umfeld der Region gibt diese Investitionen auch her. An der Universität Marburg befindet sich der größte Pharmaziefachbereich Deutschlands, und in Gießen und Marburg steht das drittgrößte Universitätsklinikum (UKGM) der Republik. Mehr als 547 Millionen Euro sind in den vergangenen Jahren für die Modernisierung des UKGM ausgegeben worden. Unsere Hochschulen sind gut aufgestellt, arbeiten immer enger zusammen, und mit »StudiumPlus« bietet die Technische Hochschule Mittelhessen (THM) ein duales Studienangebot von nationalem Rang. Dazu entsteht in Mittelhessen eine der modernsten Hochschulinfrastrukturen mit einem Invest von 980 Millionen Euro.
»Was wird aus Mittelhessen?«, fragte Dr. Lars Witteck, Regierungspräsident und Vorsitzender des Vereins Mittelhessen in einem Gastbeitrag in dieser Zeitung. Mittelhessen habe hervorragende Voraussetzungen als Wirtschafts-, Hochschulund Lebensraum, aber geringere Forschungsund Entwicklungsausgaben, sinkende Patentanmeldungen, eine sinkende Anzahl an Existenzgründungen sowie das zunehmende Problem des Fachkräftemangels, stellte Witteck fest. Der kritischen Analyse folgte bei ihm die Antwort: Die Lösung sei die fokussierte Bündelung der Kräfte. Innovationsfähigkeiten durch Verbindung von Hochschule und Wirtschaft seien zu erhöhen, der Gründergeist zu unterstützen und die Steuerung der Aktivitäten durch noch mehr Vernetzung zu erreichen.
Perspektive ändern
Diese Aufgabe ist nicht leicht in einer Region, die auf dem Papier erst 1981 entstanden und eine Flächenregion mit drei Oberzentren, vielen Schnittstellen, Verantwortungsgrenzen und unausgereifter Identität ist. Der Komplexität der Region darf man nicht mit einfachen Formeln begegnen. Regionale Hochschulkooperationen sind für globalisierte Unternehmen nicht zwingend sinnvoll. Umgekehrt passen Angebot und Qualifizierung weltweit anerkannter Hochschulforscher nicht automatisch zu den Herausforderungen des familiengeführten Mittelstandes. Gut ausgebildete Hochschulabsolventen finden nicht immer rund um ihre Alma Mater den idealen Arbeitgeber und umgekehrt. Ohne Zweifel bedarf es aber einer regionalen Abstimmung, Vernetzung und eines Dialoges. Denn ohne Kenntnis der gegenseitigen Kompetenz und Möglichkeiten findet Kooperation nicht statt, werden Synergien nicht genutzt und wird ein authentisches Image nicht geprägt. Wir müssen bei der Konzeption unserer Projekte denjenigen zuhören, denen es nutzen soll. Die Festlegung der Inhalte muss sich am Bedarf der Unternehmen, der Fachkräfte von morgen und der Neuankömmlinge in Mittelhessen ausrichten. Wir können im Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Wahrnehmung bei den oben genannten Zielgruppen nur gemeinsam gewinnen und müssen dazu die Perspektive ändern. So werden aus den Hochschulen in Gießen und Marburg »unsere Hochschulen«, dem ICE-Bahnhof in Limburg »unser ICE-Anschluss« und aus den Weltmarktführern im Dilltal »unsere Top-Unternehmen aus Mittelhessen «.
Mit der Gründung der Regionalmanagement Mittelhessen GmbH (RMG) vor etwas mehr als zwei Jahren aus dem Verein Mittelhessen heraus wurde der mittelhessische Kooperationswille sichtbar auf eine neue Stufe gehoben. Es wurde ein klares Signal in Richtung derjenigen gesendet, die die Region für »pathologisch unkooperativ« halten. Das Regionalmanagement als Schulterschluss von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik ist in den Kernfeldern Infrastruktur und Innovation, Bildung und Fachkräftesicherung tätig. In der GmbH haben sich alle Handwerkskammern, Hochschulen, Industrie- und Handelskammern, alle Landkreise und Oberzentren mit dem Verein Mittelhessen zusammengetan, um das seit 2003 bestehende Regionalmanagement weiterzuentwickeln, Strategien für die Region zu definieren und gemeinsam umzusetzen. Zusammengenommen sind es 19 Gesellschafter, 21 Aufsichtsräte, derzeit 186 Vereinsmitglieder und fünf hauptamtliche Mitarbeiter, die sich ihrer Verantwortung für die strategische Entwicklung Mittelhessens stellen. Und der Auftrag der Gesellschaft ist klar festgelegt: Mittelhessen wird als Wirtschafts- und Bildungsstandort bekannter, seine Stärken und sein Profil werden zielgruppengenau verbreitet und die Interessensvertretung der Region gestärkt. Das funktioniert mit gemeinsamen Projekten, einer abgestimmten Standortvermarktung und einer aktiven Lobbyarbeit. Unsere Netzwerke Wirtschaft, Bildung, Kommune und Hochschule mit ihren Arbeitskreisen und Projektgruppen unterstützen uns bei diesem Auftrag: Im Regionalmanagement sind zurzeit knapp 300 Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kommunen für die Region Mittelhessen aktiv. Die Grundfinanzierung stellen die Gesellschafter und eine Förderung aus EUMitteln sicher. Für die Projektarbeit haben wir im vergangenen Jahr 560 000 Euro eingenommen. Einbindung von Experten, erfolgreiche Einwerbung von Drittmitteln und Bündelung der Kräfte – wie sieht unsere Arbeit nun konkret aus? Hier ein Auszug:
Emotionale Bindung
Mehr Mut
Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass mit der Gründung der GmbH und der Rolle des Vereins Mittelhessen als Gesellschafter der RMG eine gute Voraussetzung für Zusammenarbeit geschaffen wurde. Die Kernfelder sind definiert und der Dialog ist organisiert. Als Geschäftsführung wünsche ich mir für die Zukunft mehr Verantwortung für Projekte und Themenfelder und mehr Mut, uns operativ damit zu betrauen. Erfolge in gemeinsamen Projekten und deren Kommunikation stärken den Kooperationsgeist und das Bekenntnis zur Region Mittelhessen künftig noch mehr.
Für was steht Mittelhessen dann? Für vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit, für schnelle und abgestimmte Umsetzungen und für einen selbstbewussten, traditionsreichen und zugleich zukunftsgerichteten Wirtschafts- und Bildungsstandort.
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