Es lohnt sich für Arbeitgeber bei der Suche nach Fachkräften neue Wege zu gehen – auch wenn Sie manchmal anstrengend sind. Das war die Quintessenz eines Workshops des Arbeitskreises „Neue Wege zur Fachkräftesicherung“ im Regionalmanagement Mittelhessen unter der Moderation von Arbeitskreisleiter Frank Schmidt vom Institut für Berufs- und Sozialpädagogik e.V. in Pohlheim vor einigen Tagen. Annähernd 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren dazu in die Emmauskirche im Marburger Stadtteil Richtsberg gekommen. Thema der Veranstaltung, die sich vor allem an Unternehmen richtete, waren Möglichkeiten, Mitarbeiter aus der so genannten stillen Reserve zu gewinnen – vor allem durch Berufstätige, die nach längerer Zeit wieder in den Job zurückkehren, Arbeitsnehmer, die sich nachqualifizieren, oder Menschen, die eine Teilzeitausbildung absolvieren. Das Treffen fand mit der Unterstützung des St. Elisabeth-Vereins e.V. Marburg statt, der die Räume der Kirche zur Verfügung stellte – ein Vorgehen, das bundesweit als Modell für eine vielseitige Nutzung von Kirchenräumlichkeiten für das Gemeindeleben und Veranstaltungen mit Interesse beobachtet wird.
Matthias Bohn vom St. Elisabeth-Verein sprach zunächst in seinem Beitrag zum Thema Mitarbeiterbindung und Gesundheitsorientierung über die so genannte Work-Life-Balance. „Jeder Bewerber ist ein individuelles Projekt“, sagte Silvana Wackernagel vom Senioren-Pflegeheim Haus Lauer. Es sei wichtig, dass man auf die Bewerber zugeht und Angebote schafft, die auf ihre Lebenssituation passen. Wackernagel berichtete über einen beispielhaften Fall aus ihrem Unternehmen: Ein ausgebildeter Masseur und Krankenpfleger jenseits der 40, der vor zehn Jahren aus Russland nach Deutschland gekommen sei, habe zuvor mangels Anerkennung seines Abschlusses beruflich nicht eingegliedert werden können. „Auch die Deutsch-Kenntnisse waren nicht ausreichend.“ Nachdem das Pflegeheim den Mann eingestellt hatte, habe sich die Geschäftsführung zum Ziel gesetzt, die Anerkennung der Abschlüsse zu erreichen. Zudem sei er nachqualifiziert und gemeinsam im Team sprachlich fit gemacht worden. Im Ergebnis habe das Unternehmen so einen loyalen und qualifizierten Mitarbeiter gewonnen, der fachlich gut ins Team passe.
Andere Teilnehmer der Runde bestätigten Wackernagels Erfahrung: „Wenn ein Bewerber vor mir sitzt und der geeignet erscheint, gehen wir auch gerne ungewöhnliche Wege“, sagte Tobias Henkel vom Unternehmen Pharmaserv in Marburg. In Fällen, in denen eine Berufsqualifikation noch fehlt, bietet sich nach Darstellung von Manfred Weber von der Handwerkskammer in Wiesbaden eine Ausbildung in Teilzeit an: „Jede Ausbildung im Handwerk ist auch in Teilzeit machbar“, sagte Weber. Zurzeit beobachte man hier eine gute Entwicklung bei den Zahlen, auch wenn diese Möglichkeit bei den Unternehmen immer noch zu wenig bekannt sei. Zielgruppe seien vor allem Menschen, die wegen ihrer Elternschaft oder weil sie jemanden pflegen müssen, keiner Ausbildung in Vollzeit nachgehen können – obwohl gerade diese Gruppe sich oft durch besondere Motivation und Verlässlichkeit auszeichne, wie Dr. Ilka Benner vom Zentrum für Lehrerbildung (ZfL) der Justus-Liebig-Universität betonte. Und: Bei den 17- bis 24-jährigen gehören in Deutschland diesem Kreis bezogen auf eine Arbeitszeit von mehr als 25 Stunden in der Woche rund 230.000 Personen an.
Wackernagels gute Erfahrungen mit Berufsrückkehrern spiegelt sich auch in ihrer generellen Haltung dieser Gruppe gegenüber: „Ein Erfolgsfaktor ist, die Person als Individuum zu sehen.“ Wichtig sei, Potenziale, aber auch Defizite zu sehen und danach zu überlegen, wie und wo ein Mitarbeiter sinnvoll ins Team passt. In ihrem Betrieb habe auch der Mangel an geeignetem Fachpersonal den Ausschlag gegeben, es mit Berufsrückkehrern zu versuchen. Mit gutem Resultat. „Auch mit Quereinsteigern haben wir gute Erfahrungen gemacht. Laut Marion Guder von der Agentur für Arbeit in Marburg gibt es zudem eine gute Förderlage für diese Gruppe. Auch sei die Begleitung durch die Agentur für Arbeit oder den Jobcentern ein Faktor für den Erfolg bei der Integration von Berufsrückkehrern.
Als weiteres Rezept gegen den Fachkräftemangel stand im Workshop die Nachqualifizierung auf der Tagesordnung. „Es gibt in Hessen 340.000 An- und Ungelernte“, sagte Dr. Klaus Rupp von der ZAUG gGmbH. Die Initiative Pro Abschluss fördert deren Ausbildung mit dem Qualifizierungsscheck. Zudem leistet auch die Agentur für Arbeit finanzielle Unterstützung. Für die Betroffenen kann eine Nachqualifizierung die Lebensumstände entscheidend verbessern: Die Aussicht auf mehr Beschäftigungssicherheit und ein besseres Selbstwertgefühl trage zu der niedrigen Abbruchquote bei Maßnahmen zur Nachqualifizierung bei, sagte Rupp. Bernd Feige von C+P Bildung berichtet beispielhaft von der erfolgreichen Nachqualifizierung zum Maschinen- und Anlagenführer, die der Bildungsträger derzeit anbietet. Lars Kolbe von Kunststofftechnik Krug hat als Arbeitgeber bisher damit in der Praxis gute Erfahrungen gemacht: „Ich bin durch den Bildungscoach auf die Möglichkeit aufmerksam geworden“, sagte Kolbe. „Wir haben derzeit einen Mitarbeiter, mit dem die Nachqualifizierung super funktioniert“, drei bis vier weitere Kandidaten stünden in den Startlöchern. Nicht zuletzt sei das Angebot einer Nachqualifizierung auch ein guter Weg, Mitarbeiter langfristig zu binden, fügte Henkel hinzu, der bei Pharmaserv für Ausbildung verantwortlich ist. „Und das ist eine gute Investition für das Unternehmen.“
Interessierte Unternehmen können sich direkt bei den jeweiligen Bildungscoaches der Landkreise kostenfreie melden. Weitere Informationen zu Teilzeitausbildung, Berufsrückkehr und Nachqualifizierung erhalten Sie beim Arbeitskreis „Neue Wege zur Fachkräftesicherung“ und den Veranstaltern.