Beim diesjährigen Startup-Weekend Mittelhessen am vergangenen Wochenende hat das Hautpflege-Konzept "Wild Leaves" den ersten Platz belegt. Den zweiten Rang sicherte sich mit "Leaf to Product" ebenfalls ein Projekt, das auf Rohstoffe aus der Natur setzt: Das Grundkonzept ist ein neuartiges Verfahren, um Pflanzenfasern aus landwirtschaftlichen Abfallprodukten als Kunststoff-Alternative für die Industrie aufzubereiten. Dritter Sieger ist mit "Scanio" eine App-Idee, die Freunden sportlicher Schuhbekleidung die Suche nach den Wunsch-Sneakern mit fortschrittlicher Mustererkennung erleichtern soll. Insgesamt hatten zehn Teams an der finalen Pitch-Runde, also der Kurz-Vorstellungen der Geschäftsideen, teilgenommen. Die sechste Auflage des mittelhessischen Startup-Weekends, das von der Regionalmanagement Mittelhessen GmbH (RMG) organisiert wird, musste zum zweiten Mal online stattfinden, konnte aber dennoch wieder mit einem hochkarätigen Panel aufwarten. Insgesamt 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wollten sich das nicht entgehen lassen.
Insgesamt 25 Ideen kamen beim Auftakttreffen am Freitag, dem so genannten Pitch-Fire, zusammen, aus denen sich über das Wochenende schließlich die zehn finalen Geschäftsideen herauskristallisierten. „Ein sehr guter Wert, sogar mehr als beim analogen Event“, wie Doğan Can Geniş vom Organisationsteam bei der RMG sagte. Das Team sei zuversichtlich, dass die Veranstaltung im kommenden Jahr wieder live vor Ort stattfinden kann – dann in Marburg, wie Benjamin Stuchly, Leiter des Organisationsteams, ankündigte. Als „mittelhessisches Flagschiff“ bezeichnete RMG-Geschäftsführer Jens Ihle das Startup-Weekend, dass durch einen „Super-Pool“ an Partnern, Experten und Talenten weit über die Grenzen der Region hinaus an Bedeutung gewonnen habe. „Ein gutes Sinnbild für unsere Art, Dinge zu tun.“ In diesem Jahr sind dieser Reputation unter anderem die bekannte TV-Journalistin Bärbel Schäfer (Jury) und die Maschmeyer Group um TV-Investor Carsten Maschmeyer (Mentoren) gefolgt.
Insgesamt 13 Speaker und sechs Mentorinnen und Mentoren standen den Gründer-Teams mit Informationen, Trainings und Ratschlägen zur Seite. Zum Auftakt am Freitag erläuterte Julia Kümper, Geschäftsführerin der VentureVilla Accelerator GmbH, zunächst das „Business Model Canvas“ als Grundgerüst für die Entwicklung einer Geschäftsidee. Fragen zur Zielgruppe, Produktion, Marketing, Kosten und Umsatzerwartungen erklärte Kümper anhand einer Übung mit einer fiktiven Geschäftsidee. Allerdings: „Nichts ist in Stein gemeißelt, was für den gesamten Startup-Prozess gilt“, wie die Unternehmerin betonte. Welche Reisen Gründerinnen und Gründer oft hinter sich haben, machte Magdalena Pusch, Mitgründerin und CMO des Tech-Startups Framen, in ihrer Keynote deutlich. Vor fünf Jahren noch als Studentin beim Startup-Weekend Mittelhessen dabei, packte sie anschließen „die Magie des Gründens“, die sie zunächst ins kalifornische Silicon Valley, dann für den Google-Konzern zurück nach Europa brachte.
In Berlin gründete Pusch mit Framen schließlich ihr zweites Startup. Das Unternehmen, das mittlerweile zur Axel-Springer-Gruppe gehört, versorgt Geschäftskunden mit digitalen Werbeflächen. „Am Anfang steht die Idee“, gab sie ihrem Publikum beim SWMH mit auf den Weg, auch wenn dies nicht unbedingt das sein müsse, was man später verkaufe, sondern eher „ein Fundament“. „Schaut Euch den Markt an und wo es Probleme gibt“, empfahl die Entrepreneurin. „Je größer das Problem, desto größer das Potenzial.“ Wichtig sei es auch, die eigene Idee anderen zu präsentieren. „Sharing is Learning“, wie Pusch es formulierte. Eine Idee, die man für sich behalte, habe keinen Wert. Feedback sei auch wichtig, um sicher zu gehen, dass „man nichts entwickelt, was niemand braucht.“
Vor den finalen Pitches am Sonntag erinnerte Bärbel Schäfer im Interview daran, dass es gelte auch bei Gründungen den „Gender-Gap“ zu überwinden. Obwohl es mittlerweile vermehrt Netzwerke für sie gebe, müssten Frauen immer noch deutlich mehr Kraft aufwenden, um sich in der Startup-Szene durchzusetzen. „Männer suchen meist Männer für Ihre Teams“, sagte Schäfer, die nach ihrer Zeit als freie Moderatorin ihre eigene Produktionsfirma gründete. Auch bürokratische Hürden für Gründerinnen und Gründer müssten stärker abgebaut werden. Nicht zuletzt warb die Journalistin auch für eine „bessere Fehlerkultur“: Stehe man beim Gründen in der Verantwortung, gelte eben oft „Learning by Doing“.
Bei den Pitches überwogen auch in diesem Jahr die Ideen für Apps. Umso bemerkenswerter, dass es mit dem ersten und zweiten Platz zwei Ideen in die Spitze gebracht haben, die sich um die Nutzung natürlicher Rohstoffe drehen. Im Portfolio waren diesmal neben den Siegern auch ein neuartiges Konzept zur Digitalisierung von Kassenbons, eine universale App für die Steuerung von Smart-Homes, eine Lern-Anwendung für „Real-Life-Skills“, eine App für eine Nothelfer-Community, eine Applikation für nachbarschaftliches Kochen, eine Dating-App mit Challenge-Anteil nach dem Motto „Tinder trifft TikTok“ und eine umfassende Plattform für Event-Veranstalter und -Besucher dabei. Den drei Gewinnern stellt das Coworking-Unternehmen SleevesUp! Gutscheine bereit; ferner durften Sie sich über Marketing-Workshops im Gesamtwert von rund 3.000 Euro freuen, für die Siegerin gab es zudem zusätzlich einen 1.500-Euro-Guthaben für Investitionen.
Während die Jury arbeitete, sprach Gründer und Investor Noel Zeh über seine Perspektive aufs Gründen. Der Gießener, der sieben Startups auf den Weg gebracht hat und heute Partner beim Venture Capital Fond Alstin Capital ist, empfahl vor allem dem Mittelstand, in Startups zu investieren. „Die Finanzierungslandschaft ist breiter geworden“, sagte Zeh. Als positives Beispiel führte er GraphCMS an: Das beim Startup-Weekend entstandene Headless Content-Management-System ist nach seiner Brutzeit unter anderem im Gründerzentrum der Stadtwerke Gießen mittlerweile eine internationale Erfolgsgeschichte „Made in Mittelhessen“. Das Startup Weekend Mittelhessen ist Teil des EU geförderten Projektes "DiGIMit" und wird von der Europäischen Union aus dem Eurpäischen Fonds für regionale Entwicklung kofinanziert.