Es ist Weihnachtszeit und die deutschen Innenstädte werden es auch in diesem Jahr wieder spüren: Immer mehr Kaufkraft wandert in den Online-Handel ab. Aber: „Die Schuld auf den Konsumenten zu schieben, funktioniert nicht“, sagte der Unternehmensberater und Experte für Innovationen im Handel, Frank Rehme, jetzt beim diesjährigen Breitband-Camp in der Wetzlarer Rittal-Arena zum Thema „Mobile Strategien für Handel und Dienstleistungen.“ In seinem Impulsvortrag empfahl er den Händlern, umzudenken. Die Veranstaltungsreihe, die den Ausbau der Internet-Infrastruktur in Mittelhessen begleitet, wurde diesmal vom Breitband-Büro der Hessen Trade & Invest GmbH (HTAI) in Kooperation mit dem Regionalmanagement Mittelhessen GmbH (RMG) durchgeführt.
„Man kann nicht über Infrastruktur reden, ohne zu sagen, für was man sie braucht“, benannte RMG-Geschäftsführer Jens Ihle einen der Gründe für die Entstehung der Reihe „Breitband-Camp“. Rehme machte mit dem Titel seines Impulsvortrag „Digitalisierung von Stadt & Region, Möglichkeiten & Risiken“ den zwiespältigen Charakter der Internet-Revolution für den Handel deutlich – präsentierte aber auch Lösungsmöglichkeiten: Der stationäre Handel müsse Kunden ein neues „Nutzen-Versprechen“ bieten, sagte Rehme. „Die Währung der Zukunft ist Aufmerksamkeit.“ Und diese müssten Händler zunächst einmal wiedergewinnen.
Grund dafür: Seit der Einführung der SB-Supermärkte hätten Unternehmen Konsumenten immer mehr an das Selber-Aussuchen von Waren gewöhnt. Heute führe jeder das Internet mit seinen Kauf-Angeboten in der Hosentasche ständig mit sich. „Mit diesem Shopper muss der Handel umgehen.“ Und: „Shopping ist heute Freizeitgestaltung“, betonte Rehme. In diesem Zusammenhang warnte der Berater auch vor Aktionen der Einzelhändler wie in der Vergangenheit, bei denen mit abgehängten Schaufenstern auf die Bedrohung der Innenstädte durch den Onlinehandel hingewiesen wurde: Schuldgefühle beim Kunden zu wecken, werde nicht funktionieren.
Rehme plädierte dagegen dafür, die „Dinge in die eigene Hand“ zu nehmen. Am Beispiel der „Future City Langefeld“ zeigte er, wie die Digitalisierung dabei helfen kann: In der 60.000-Einwohner-Stadt zwischen Köln und Düsseldorf habe das Projekt „Zukunft des Einkaufens“ Geschäftswelt und Verwaltung „unter ein Dach gebracht“, um Langenfeld zu einer „Innovationsplattform des Handels zu machen“. Dazu gehören Konzepte für einen „digitalen Schaufensterbummel“, eine vernetzte Innenstadt und der „Langenfelder Stadtschlüssel“, mit dem der Kunde für jede Innenstadt-Transaktion mit einem Bonus fürs Parken belohnt wird.
Positives Beispiel für eine mobile Strategie: die "Gießen entdecken"-App
Ein regionales Beispiel einer mobilen Strategie für den Innenstadt-Handel ist die Smartphone-App „Gießen entdecken“. Mark Pralle, Geschäftsführer des Projektentwicklers Fabrik 19, berichtete in Wetzlar über die Anwendung, die seit eineinhalb Jahre vermarket werde und mittlerweile etwa 15.000-mal installiert worden sei. Es werde immer schwerer, mit Kunden über die klassische Presse zu kommunizieren, sagte Pralle. „Wer nicht über die Tageszeitung erreicht werden kann, wird auf seinem Smartphone erreicht.“ So verschicke die App regelmäßig Push-Nachrichten an rund 5000 Nutzer. „Gießen entdecken hat den vollständigsten Veranstaltungskalender der Region“, hob Pralle hervor. 150 Partner unter anderem aus den Bereichen Gastronomie, Sport und Kultur „fütterten“ die Anwendung mit Daten.
Zum Stand des Breitband-Ausbau in Hessen informierte Wolfram Koch, Leiter des Breitbandbüros Hessen bei der HTAI. „Das hessische Vorgehen, den Ausbau auf Landkreisebene umzusetzen, hat sich gelohnt“, sagte Koch. Mitte 2016 habe die Versorgung mit Internet mit einer Geschwindigkeit von mindestens 30Mbit/s im Land bei über 83 Prozent der Haushalte gelegen; 50-Mbit/s-Leitungen seien zu diesem Zeitpunkt zu 72 Prozent verfügbar gewesen. In den kommenden zwei Jahren sollen solche Anschlüsse flächendeckend verfügbar sein. Bis Ende 2020 sehe die „Strategie Digitales Hessen“ der Landesregierung einen Ausbau auf bis zu 400Mbit/s für 60 Prozent der hessischen Haushalte vor. Der Schwerpunkte liege hier zunächst vor allem auf Schulen, Gesundheitseinrichtungen und Gewerbegebiete. Und: Bis Ende 2025 plane der Bund gar die „Gigabit-Gesellschaft“, fügte Koch hinzu.