„Stille Reserven“ werden Sie von Einigen genannt, Andere sprechen lieber von „ungenutzten Potenzialen“: Nach Meinung von Experten könnte Betrieben bei der Suche nach Fachkräften mehr qualifiziertes Personal zur Verfügung stehen, wenn sie vorhandene Möglichkeiten besser ausnutzten. Wie dies gehen soll, war Thema eines Workshops für Unternehmen am Dienstag vergangener Woche (14.3.17) in Limburg. Das Netzwerk Bildung im Regionalmanagement Mittelhessen hatte Vertreterinnen und Vertreter mittelhessischer Betriebe eingeladen, um mit verschiedenen Institutionen neue Wege zur Gewinnung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erörtern. Auf der Tagesordnung standen insbesondere die Themen Berufsrückkehr, Teilzeitausbildung und Nachqualifizierung – auch anhand konkreter Praxis-Beispiele.
34 Prozent der hessischen Unternehmen litten einer Studie der Personalberatung Robert Walters zufolge unter einem Mangel an Fachkräften, stellte Eleonore Falchi, Leiterin der Personal- und Organisations-Entwicklung bei Mundipharma, zur Begrüßung der Workshop-Teilnehmer fest. Das Limburger Pharma-Unternehmen hatte die Rolle des Gastgebers übernommen. Der gleichen Studie nach verfolgten 51 Prozent der Unternehmen bereits einen Plan, um diesem Mangel entgegenzuwirken – meist durch interne Weiterbildungen, flexiblere Arbeitsverhältnisse und höhere Gehälter. Die meisten der Ansätze, die im Workshop zur Sprache kamen, kommen in dem Papier hingegen nicht vor – mit einer der Gründe für die Organisatoren, Vertretern aus Kommune, Wirtschaft und Hochschule, das Thema auf die Tagesordnung zu heben. Für Jens Ihle, Geschäftsführer der Regionalmanagement Mittelhessen GmbH (RMG), ist der Workshop daher auch ein „gutes Beispiel mittelhessischer Kooperationskultur“.
Manfred Weber von der Handwerkskammer Wiesbaden hat eine Erklärung: „Viele Unternehmen wissen nichts von der Möglichkeit.“ In seinem Fall von der Möglichkeit der Teilzeitausbildung. Dabei geht es um Menschen, deren „persönliche Situation eine klassische Ausbildung verhindert“. Von den rund 8700 Ausbildungsverträgen in Hessen beträfe das genau 43. Dabei machten die Unternehmen mit dieser Art der Fachkräfte-Rekrutierung gute Erfahrungen: „Unternehmen, die diesen Weg gegangen sind, bieten wieder solche Verträge an“, berichtete Weber. „Unsere Studien haben ergeben, dass es Informationsbarrieren bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern gibt“, fügte die Berufspädagogin Ilka Benner von der Gießener Justus-Liebig-Universität hinzu.
Die Unternehmerin Annita Herrmann hat die Entscheidung zur Teilzeitausbildung „nicht bereut“ (mehr dazu in diesem Beitrag): Ihre Auszubildende Christina Perea ist mittlerweile fest in den Geschäftsbetrieb integriert und wird dauerhaft bleiben. „Ich wollte eine Perspektive“, sagte die zweifache Mutter in Limburg. Herrmann hat – wie sie sagte – dafür eine Mitarbeiterin „mit Engagement und Lebenserfahrung“ bekommen. Auch wenn das nicht immer einfach war: Denn Verbesserungsbedarf gibt es laut Perea vor allem bei der Kinderbetreuung in den Ferien. Hier gebe es noch zu wenig Möglichkeiten.
Eine andere „stille“ Reserve sind Berufsrückkehrerinnen und Berufsrückkehrer: Iris Angrick von der Agentur für Arbeit wies auf die Bedeutung von Maßnahmen zur Qualifizierung, Berufsvorbereitung aber auch zur Steigerung des Selbstwertgefühls nach einer langen „Auszeit“ hin. Hilfreich sei aber auch „familienorientierte Personalpolitik“, da unter den Rückkehrerinnen vor allem Mütter seien. „Ein Zimmer für Hausaufgaben“ der Kinder im Betrieb reiche dabei schon. Laut Dr. Sabine Reichhold vom Netzwerk Wiedereinstieg berge insbesondere diese Fachkräfte-Gruppe ein „Potenzial, auf das die Gesellschaft nicht verzichten kann“. Arbeitgeber sollten die Fähigkeiten, „die Frauen im Familienkontext erworben haben“, zu schätzen wissen. Das bestätigt auch die Praxis: „Ich habe in 15 Jahren mit Berufsrückkehrerinnen nur positive Erfahrungen gemacht“, sagte Mario Kramer, Geschäftsführer bei Rewe in Löhnberg – nicht zuletzt durch deren „hohe Motivation“. Auch altersbedingte Vorurteile sollten Unternehmen dringend abbauen.
Über einen eher „alten Weg“ der Fachkräfterekrutierung berichtete Dr. Klaus-Jürgen Rupp von der ZAUG gGmbH: Die Nachqualifizierung sei insbesondere bei Firmen mit ausgeprägtem Fachkräftebedarf ein Thema – dort oft auch berufsbegleitend. Als „Bildungspoint“ berate die ZAUG die Unternehmen und Mitarbeiter auch zu Fördermöglichkeiten. Über ein Beispiel aus seinem Betrieb berichtete Dirk Eberling von der Metallkontor GmbH in Staufenberg: Dort habe sich die Nachqualifizierung auch als gutes Instrument erwiesen, um Beschäftigte an das Unternehmen zu binden. „Die Mitarbeiter machen letztlich das Unternehmen aus“, betonte Eberling. Unterstützung bekam er dabei von Georg Dettloff von der Deutschen Angestellten-Akademie (DAA) in Marburg: „Wichtig ist auch die Perspektive für die Mitarbeiter“, die ihre Kompetenzen so besser nachweisen könnten.
RMG-Geschäftsführer Jens Ihle zog ein positives Resümee der Veranstaltung: Die Teilnehmer hätten den Workshop in einer anschließenden Befragung mit Bestnoten bewertet. Und: Mehrere Firmen hätten sich bereits über das Netzwerk Bildung für eine Folgeberatung angemeldet, fügte Ihle hinzu.