Wenn in der jüngeren Vergangenheit in Deutschland von „Willkommenskultur“ die Rede war, so hatte dieser Begriff oft eine politische Dimension – vor allem in der Debatte um Menschen, die nach Deutschland fliehen müssen. Dabei spielt „Willkommenskultur“ für Unternehmen und Institutionen der höheren Bildung schon lange eine wichtige Rolle auf einem anderen Gebiet: beim Werben um Fach- und Führungskräfte und damit als weicher Standortfaktor für die regionale Wirtschaft. Seit einigen Jahre arbeitet deshalb der Arbeitskreis (AK) Willkommenskultur im Regionalmanagement Mittelhessen daran, diese Form der Willkommenskultur zu fördern. Die Bilanz, die Arbeitskreisleiter Christian Bernhard nach annähernd sechs Jahren ziehen kann, ist positiv – und das nicht nur für die Initiative, der er vorsteht, sondern auch für die Arbeit des Regionalmanagements insgesamt.
Für Bernhard ist der AK in gewisser Weise eine Quintessenz dessen, für das das Regionalmanagement als Ganzes steht: Er sei ein „Musterbeispiel für die gute und erfolgreiche Zusammenarbeit“ von Institutionen der Region, um gemeinsam Mittelhessen voran zu bringen. Hervorgegangen ist der Arbeitskreis aus einem Projekt der Industrie- und Handelskammer (IHK) Lahn-Dill, bevor er Teil des Regionalmanagements als übergeordnete Plattform wurde. In ihm sind neben den IHKs die Handwerkskammer, die Wirtschaftsförderer der Städte und Landkreise, die Hochschulen und die Agentur für Arbeit vertreten, um „Unternehmen mit passenden Angeboten bei der Gewinnung von Fach- und Führungskräften zu unterstützen“. Und das in einer „hervorragenden und sehr kooperativen Zusammenarbeit“, wie Bernhard betont.
Dass Mittelhessen bei diesem Thema eine solche Bündelung der Kräfte braucht, steht für den Volljuristen außer Frage: Auch wenn im Gebiet zwischen Rhein-Main und Kassel „hervorragende Unternehmen und Institutionen“ angesiedelt seien, die interessante Arbeitsplätze für Fachkräfte aus dem In- und Ausland zu bieten hätten, so müsse man „als Region die Menschen mit Ihren Angehörigen und Partnern auch entsprechend willkommen heißen“. Denn: Es seien die „weichen Faktoren“ die häufig denn Ausschlag dafür geben, ob eine hochqualifizierte und dringend benötigte Kraft seine Zukunft und die seiner Familie im Mittelhessischen oder doch lieber in einer der großen Metropolregionen im Süden oder Norden plane. Und nicht etwa „der tolle Job“. Die „Sandwich-Position“ zwischen Nordhessen und Rhein-Main-Gebiet mache die Sache dabei nicht einfacher.
Bei diesem Vorhaben geht es seiner Meinung nach vor allem um Transparenz: Denn neben „tollen Unternehmen mit interessanten Tätigkeiten und Perspektiven“ könnten Neuankommende in Mittelhessen vor allem eines finden: Lebensqualität. „Wir haben als Region wahnsinnig viel zu bieten“, sagt Bernhard, „nahezu alles, was auch Zentren und Ballungsräume zu bieten haben.“ So gebe es hier neben dem ländlichen Raum mit seinen Erholungsmöglichkeiten auch Kultur und Sport auf hohem Niveau – wenn man Mittelhessen als Einheit betrachte. Beispielsweise habe Wetzlar zwar kein Theater, dafür aber Gießen. „Und was sind 17 Kilometer, das legt jeder in einer Großstadt auch zurück“, sagt der Arbeitskreisvorsitzende.
Damit diese Nachricht die Zielgruppe erreiche, verfüge das Regionalmanagement dank des AKs über ein „stimmiges Produktportfolio“: Bernhard erwähnt zunächst den Newcomers Guide – eine Magazin, das Fach- und Führungskräften das Ankommen in der Region erleichtern soll. Das sei „keine klassische Imagebroschüre“, sondern gebe vor allem Tipps und Hinweise zu wichtigen Fragen: „Wie ist es mit dem Führerschein, wie ist es mit der Miete, wie werden Mietverträge geschlossen.“ Dazwischen gebe es natürlich auch die eine oder andere Unternehmenspräsentation. Und: In Zeiten des Smartphones gibt es den Guide auch als App. „Das ist eine Riesenchance“, sagt Bernhard, „Interessenten laden die Smartphone-App herunter, bevor sie überhaupt Kontakt zur Region aufgenommen haben.“ Verfasst sind die Inhalte in deutsch und englisch; audiovisuelle Inhalte ergänzen die Texte.
Doch Willkommenskultur besteht nicht nur aus praktischen Informationen in gedruckter und elektronischer Form. Vielmehr möchte der Arbeitskreis, dass Neu-Mittelhessen die Region durch jene Institutionen kennen lernen, die sie prägen. Möglich macht dies die Veranstaltungsreihe „Newcomers Day @ …“ – die drei Pünktchen stehen dabei jeweils für den Ort, zu dem die Newcomer, also die Neuankommenden, exklusiv eingeladen werden. Zu diesen Institutionen zählten bereits die Licher Brauerei, die Handballer vom HSG Wetzlar oder das Stadttheater Gießen; der nächste Termin trägt den Titel „Newcomers Day @ Biomedizinisches Forschungszentrum“. Idee liefern die regionalen Vertreter im Arbeitskreis, die auch immer selbst anwesend sind, um die Newcomer zu betreuen und die Region zu repräsentieren, wie Bernhard betont.
Persönlich soll es auch zugehen, wenn ein weiteres Projekt an den Start geht: Unter dem Arbeitstitel „Willkommenslotsen“ plant der AK, die Betreuung der Newcomer konkret zu verbessern. „Wir wollen in den Regionen bestimmte Personen – insbesondere aus dem Arbeitskreis – benennen, die Fragen rund ums Ankommen beantworten können.“ Ein ähnliches Projekt habe es schon einmal gegeben, es sei aber nicht ausreichend kommuniziert worden. Das soll diesmal anders werden: „Wir gehen da jetzt mit Nachdruck ran, füllen das mit Inhalten und wollen es auch gut vermarkten.“ Gegen Ende des Jahres soll es dann soweit sein. Ein zentraler Koordinator wird dann Anfragen an die Lotsen weitergeben, die sich dann „verbindlich darum kümmern, dass der Person oder auch dem Personalleiter oder dem Geschäftsführer weitergeholfen wird.“
Die Erfahrung zeige aber: „Es ist immer noch eine Aufgabe, an die Zielgruppe heran zu kommen.“ Zwar komme von den Unternehmen und Institutionen vor allem positives Feedback: „Es gibt eine Nachfrage nach dieser Art der Betreuung“, berichtet Bernhard. Allerdings wüssten eben immer noch zu wenige Personalverantwortliche, dass es diese Angebote überhaupt gibt, sagt er. Das ist eine Erkenntnis aus den Feedback-Runden und Workshops mit den Verantwortlichen der Personalabteilungen, die der AK regelmäßig veranstaltet. Dieses gemeinsame Justieren mit der Zielgruppe ist Bernhard besonders wichtig: „Ich wünsche mir, dass wir Impulse aus den Unternehmen bekommen, was wir noch leisten können, um sie zu unterstützen.“ Bernhards Anliegen ist es letztlich, dass die Angebote des Arbeitskreises Willkommenskultur bei Neueinstellungen zum „Prozessstandard eines jeden Personalverantwortlichen gehören“.
Lautet das Credo des Regionalmanagements „Ressourcen bündeln, Kooperationen fördern und Potenziale entwickeln“, so findet diese Aufgabenbeschreibung nach Ansicht von Christian Bernhard mit den „Produkten zum Anfassen und Wahrnehmen“ des Arbeitskreises Willkommenskultur einen ganz praktischen Ausdruck. Denn hier gehe es nicht nur darum, Ideen vorzutragen, sondern auch konkret zu organisieren. „Das ist aus meiner Sicht ein Arbeitskreis, in dem das hervorragend funktioniert.“ Eine neue Website des Regionalmanagements Mittelhessen wird künftig helfen, diesen Ansatz noch besser zu kommunizieren. Unter der Adresse http://welcome.mittelhessen.eu sollen Angebote für Personalverantwortliche und Newcomer gebündelt werden – darunter Termine, relevante Nachrichten und Links sowie Anmelde-Möglichkeiten für Newcomer-Veranstaltungen. Personalverantwortliche können sich auch per Newsletter auf dem neuesten Stand halten lassen. Online gehen soll die neue Site bereits Ende Mai.