Der Blick nach Westen kann in diesen Zeiten für viele Beobachter verwirrend sein: In diesem Jahr steht mit den Präsidentschaftswahlen in den USA eine der wichtigsten demokratischen Entscheidungen der nächsten vier Jahre an. Amtsinhaber Joe Biden tritt gegen seinen Vorgänger Donald Trump an, und die führende Weltwirtschaftsmacht und einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands scheint gespaltener denn je. Mit Julius van de Laar, ehemaliger Wahlkampfhelfer von Barack Obama, hat das Netzwerk Wirtschaft in der vergangenen Woche einen Kenner der amerikanischen Demokratie zu einem Online-Vortrag eingeladen, um unter dem Titel „Race to the White House“ die Hintergründe dieser Polarisierung zu erläutern und die Unterschiede zu Wahlkämpfen in Deutschland aufzuzeigen.
Van de Laar war bei den Präsidentschaftswahlen 2012 für Barack Obama für die Wählermobilisierung im Schlüsselstaat Ohio verantwortlich. Mit Mittelhessen ist er eng verbunden, denn vor seinem Studium, das er in den USA absolvierte, spielte Van de Laar in Gießen und Lich Profi-Basketball. Nach seinem Erfolg im Obama-Team beriet der 41-Jährige Politiker:innen bei Bundestagswahlkämpfen in Deutschland sowie bei europäischen Wahlen und brachte seine Expertise auch in NGO-Kampagnen ein. Mit Van de Laar Campaigning berät er politische Organisationen und NGOs bei Kampagnen und deren Umsetzung und produziert mit Race to White House" einen regelmäßigen Podcast zu den US-Wahlen.
18 Monate sei er für Obama unterwegs gewesen; aus heutiger Sicht in einer Zeit, die weit entfernt scheint. Die derzeitige Situation in den Vereinigten Staaten erscheint nicht nur Van de Laar „skurril“, so etwas sein man in Deutschland nicht gewohnt, wo Wahlkämpfe in der jüngeren Vergangenheit kaum nennenswerte Momente hervorgebracht hätten. Ganz anders die USA: Gerichtsverfahren, Anklagen auf beiden Seiten, dazu neuerdings Donald Trump auf TikTok, „ein Event kommt nach dem anderen.“ Es sei schwierig, hier einen klaren Blick zu bekommen, denn „wie filtert man den Lärm heraus“?
Nur wenige US-Bundesstaaten, die „Swing States“, würden bei der Wahl im November den Ausschlag geben, so der Politikberater. Dort könnten vermeintliche Kleinigkeiten entscheidend sein. Derzeit dominiere Donald Trumps verlorener Prozess wegen Verstoßes gegen die Spendenregeln bei Schweigegeldzahlungen an eine Pornodarstellerin die Medien, und tatsächlich habe das Urteil der Geschworenen zu einer „kleinen Delle“ in den Umfragen für den Immobilienmogul geführt. Doch Trump geht in Berufung, die bis zu eineinhalb Jahre dauern kann. Und natürlich „kandidiert er weiter“.
Wichtiger seien die kommenden TV-Debatten und wie sich die Kandidaten dort präsentieren: Wird Trump trotz seines Alters überzeugen, bekommen die Zuschauer:innen einen staatsmännische auftretenden oder polternden Trump zu sehen? Nur theoretisch sei es möglich, dass bei einem katastrophalen Verlauf Biden beim Parteitag der Demokraten noch ausgetauscht werde. Über einen möglichen Notkandidaten oder eine Notkandidatin wird spekuliert, die ehemalige First Lady Michelle Obama, für viele Demokraten eine Hoffnungsträgerin, hat aber bereits deutlich gemacht, dass sie dafür nicht zur Verfügung steht und sich auch keinen Sieg zutraut.
Die bestimmenden Themen des US-Wahlkampfes sind laut Van de Laar Immigration, Inflation und generell die Wirtschaftslage: Die Präsidentschaftswahl „war schon immer eine Wirtschaftswahl.“ Zwar habe Präsident Biden zuletzt vor allem in Sachen Wirtschaft gute Zahlen geliefert, aber in der „gefühlten Wahrnehmung“ der Bevölkerung werde „aber alles schwieriger“. Die Inflation sitze den Menschen in den Knochen, Kraftstoffe, Lebensmittel, Hypotheken und selbst der Besuch bei McDonald’s seien deutlich teurer geworden.
Und so liege Biden trotz der gerichtlichen Eskapaden Trumps in wichtigen Schlüsselstaaten derzeit zurück. Beide Kandidaten müssten täglich ihre „Messages“ platzieren, bei Donald Trump sei dies die Behauptung, unter seiner Präsidentschaft sei alles besser, die Welt stabiler gewesen. Zudem versuche er Zweifel an Biden wegen seines Alters zu wecken. Der amtierende Präsident „muss seine Botschaft noch finden“, so Van de Laar, könne aber versuchen mit seiner Vergangenheit im Senat als Verteidiger des „kleinen Mannes“ im Kampf gegen den Milliardärsfreund Trump zu punkten. Zuletzt hatte er sich zudem auch mit harten Maßnahmen gegen die Einwanderung aus dem Süden zu profilieren versucht.
Bemerkenswert seien auch die im Vergleich zu Deutschland enormen Wahlkampfkosten in den USA, wo die großen Parteien im Schnitt 25 Millionen Euro ausgeben, eine Summe, die die Demokraten bei einer Großveranstaltung an Spenden einnehmen und die Trump laut Van de Laar bei einer seiner Galas bereits verdoppelt habe. Insgesamt koste der Wahlkampf in den USA mit all seinen Facetten rund 16 Milliarden US-Dollar, berichtete der Wahlkampfexperte. Viel Geld, für das manche Spender Zugeständnisse erwarten: So habe Trump den Ölkonzernen „öffentlich und ungeschminkt“ versprochen, Landrechte freizugeben und Elektroautos zu verbieten.
Warum Trump trotz außerehelicher Affären und lockerer Sprüche gerade bei evangelikalen Wählern im „Bible Belt“ beliebt ist, erklärt Van de Laar mit einem Wahlkampfkonzept namens „Permission Structure“, das helfe, Verhalten zu rechtfertigen. So habe Trump zwar moralisch fragwürdige Dinge getan, aber eben auch drei konservative Richter an den Obersten Gerichtshof berufen, die schließlich das Bundesabtreibungsgesetz in den USA kippten. "So bauen die Religiösen ihre Rechtfertigung.“ Beide Parteien nutzen „Permission Structure“ in ihrem Wahlkampf; „gute Kampagnen schaffen es“, auf diese Weise Dinge „irgendwie von zwei Seiten“ zu beleuchten, so Van de Laar.
Sollte Trump tatsächlich gewinnen, prognostizierte Julius van de Laar eine noch extremere Ausrichtung der US-Administration als in Trumps erster Amtszeit, in der die „Republikaner alten Holzes“ noch einen mäßigenden Einfluss gehabt hätten - mit Folgen nicht nur für die Ukraine, sondern beispielsweise auch für die Beziehungen zu China. Abschließend machte Van de Laar noch einmal deutlich, wie unberechenbar der Wahlausgang aus seiner Sicht ist: 18 Prozent der Amerikaner hätten in einer Umfrage angegeben, sie würden einer Wahlempfehlung der den Demokraten zugeneigten Sängerin Taylor Swift folgen, wenn diese eine abgeben würde. Solche Statistiken seien zwar mit Vorsicht zu genießen, aber ein paar Konzerte in den Swing States kurz vor der Wahl könnten den Ausschlag geben, denn „eine Handvoll Stimmen macht den Unterschied“.